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Mein EM-Tagebuch (XV): Deutscher Journalismus und Social Media wollen nicht zusammen finden

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Gerade lese ich mich so durch meinen Feedreader, da fallen mir zwei Artikel auf: Zum einen berichtet Universalcode von einer Studie, der zu Folge immerhin 45 Prozent der deutschen Journalisten glauben, für den Umgang mit Sozialen Netzwerken gerüstet zu sein. Kurz danach lese ich diesen Text bei Richard Gutjahr: Deutschland liegt weltweit nur auf Platz 18 bei der Zahl der Twitteraccounts. Irgendwas passt hier also nicht zusammen. Und bei der EM-Berichterstattung von ZDF und ARD konnte man mal wieder deutlich sehen, woran es krankt, wenn deutsche Journalisten Soziale Netwerke nutzen. Zwar wird durchaus viel gemacht: Aber der Zuschauer bekommt davon nichts mit.

Dass deutsche Journalisten glauben, für Social Media gut gerüstet zu sein, kann nur damit zusammenhängen, dass sie das wahre Potenzial der Netzwerke noch gar nicht erlebt haben. Sie reden wie jemand, der einen Flugsimulator am PC spielt, und dann behauptet, er sehe sich jetzt gut gerüstet, einen Jumbojet zu fliegen.
Gerade Twitter liegt in Deutschland immer noch unter der relevanten Wahrnehmungsschwelle, obwohl es im Vergleich zu Facebook das journalistisch viel interessantere, lebendigere Netzwerk ist. Doch noch immer istder Umgang damit manchmal erstaunlich unbeholfen. Bestes Beispiel war die tapsige Art, mit der das ZDF während der EM Oliver Kahns Twitter-Account einführte. Zwar diskutierten Sportschau und ZDF eifrig mit den Nutzern im Netz während der Spiele und reagierten auch viel auf Bemerkungen zu der Berichterstattung. Doch nur wenig davon fand Eingang in die TV-Berichterstattung.

Das Twitterteam der Sportschau reagierte zügig, wenn die Sendung kritisiert wurde.

Dass Bela Rethy oder Steffen Simon während der Spiele mal auf den offiziellen Hashtag zu den Matches hinwiesen, kam, soweit ich weiß, nie vor. Und ich habe 25 von 31 Spielen gesehen. Geschweige denn, dass sie selbst twittern würden oder mal einen interessanten Tweet in ihre Kommentierung einbauen würden. Gleiches gilt für die Nachberichterstattung. Wäre es so schwer für Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl, ein iPad vor sich hin zu legen, von dem aus sie ein paar interessante Kommentare aus sozialen Netzwerken vorlesen und diskutieren können? Wieso leitet Michael Steinbrecher im Interview nicht mal eine Frage eines Facebook-Nutzers an Jogi Löw weiter? Nichts von alledem, dabei wäre ein Großereignis wie die EM der perfekte Moment gewesen, Soziale Netzwerke (endlich) massentauglich in die Berichterstattung einzubauen.

Der Dialog auf Sozialen Netzwerken ist nur dann bereichernd, wenn die Informationen, den Mehrwert, den Journalisten daraus ziehen, auch ans Publikum weitergeben. Twitter und Facebook sind doch keine in sich geschlossenen Systeme, die man völlig losgelöst von dem Restprogramm eben auch noch bedient. Zur vollen Blüte gelangen sie erst, wenn man das reichhaltige Feedback von dort auch sinnvoll verwertet. Kein Wunder, dass das vorherrschende Urteil über Twitter und Facebook nach wie vor lautet, dass das ja ein ganz netter Zeitvertreib, aber letztlich doch nutzloser Quatsch ist. Evolutionär gesehen klettern wir in Sozialen Netzwerken noch auf Bäumen rum, während andere Länder längst den aufrechten Gang erlernt haben.


Einsortiert unter:EM-Tagebuch, Fundstücke, Was mit Medien Tagged: ARD, Euro 2012, Fußball, Journalismus, Social Media, Sportschau, ZDF

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